Koppstoff · Susn 

von Feridun Zaimoglu und Herbert Achternbusch

Spätestens durch die holländischen Ereignisse im Herbst letzten Jahres ? die Ermordung des Filmemachers van Gogh und die Anschläge auf Kirchen und Moscheen ? ist auch bei uns die Diskussion über Islam und Islamismus, das Nebeneinander verschiedener Kulturen, "Leitkultur", Integration von Ausländern und multikulturelle Perspektiven stark in den Mittelpunkt gerückt. Mit einem "bayerisch?türkischen Frauenproj ekt" stellt Theater Fisch&Plastik die starren Grenzziehungen zwischen"Heimat" und"Fremde" in Frage.

 

Fremd ist die Fremde nur in der Fremde (nach Karl Valentin)

In Achtembuschs "Susn" wie in Äoppstoff", Zaimoglus literarisch aufbereiteten Protokollen, wird gezeigt, wie Frauen mit kulturellen Brüchen in ihrem Leben umgehen: die Auseinandersetzung mit der religiösen Tradition, mit dem Wechsel aus einer ländlich geprägten Lebenswelt in die moderne Großstadt, mit dem Verhältnis zu Männern, in dem Angabe allzu leicht zu Unterwerfung führt, während der Versuch der Selbstbehauptung auch in emotionale Selbstabschottung und Vereinsamung münden kann.

Koppstoff

In Zaimoglus "Koppstoff" verschaffen sich türkische Migrantinnen der zweiten und dni tten Generation Gehör, schildern ihre oft extreme Situation: die Existenz am Rande der Gesellschaft, die widersprüchliche Prägung durch zwei Kulturen, die Spannung zwischen Abgrenzung und Integration, die Auseinandersetzung mit türkischen und deutschen Männern. Viel aufgestauter Zorn macht sich Luft, aber auch Orientierungslosigkeit und Resignation ? oder die bewusste Identifikation mit Kultur und Religion der Eltern (Stich? und Reizwort Kopftuch). Die Sprache dieser Frauen bewegt sich zwischen erlerntem Hochdeutsch und der "Kanaka Sprak" ? einer Mischung aus heimatlichen Sprachbildern und Straßendeutsch, welche sich mit aller Härte und Poesie zu einem schrillen, anarchischen Kanon fügt.

Susn

Herbert Achtembusch schildert in seinem 1979 entstandenen Stück die Geschichte einer Frau, die als junges Mädchen vom Land in die Stadt kommt. Sie will der provinziell?klerikalen Enge ihrer Heimat entfliehen, ist aber mit ihrem bayrischen Dialekt eine Exotin für die Städter. Auch sie hat mit der Kluft zwischen einer ländlich?religiösen und einer großstädtisch?modemen Kultur zu kämpfen. Patriarchalisch geprägt sind beide. Susn wird verkörpert durch fünf Schauspielerinnen unterschiedlichen Alters, die jeweils einen Lebensabschnitt ihrer Biographie darstellen.

Koppstoff/Susn

Zwischen der Entstehung beider Texte liegen zwanzig Jahre. Bei ihrer Gegenüberstellung geht es keineswegs um Gleichsetzung, sondern um Parallelen und Unterschiede: eine produktive Reibung, die Suche nach dem "Bekannten" im "Fremden", dem "Fremden" im "Bekannten". Durch die Verschränkung der Monologe der bayerischen und türkischen Frauen entstehen ganz unerwartete Bezüge. Unser Ziel ist es, der kraftvollen und poetischen Sprache dieser Frauen Gehör zu verschaffen und so zu einer gänzlich anderen Wahrnehmung der Konflikte am Rande der Gesellschaft zu gelangen.

 

"ja, oft mecht i koan Menschn mehr sehng und von koan Herrgott was wißn, aber wer solltn mir zuhörn, wenn net der Herrgott? Jessas, jetzt bin i fast scho wieder eingschlafa gwen, da Kopf war zvui weit unten, denn in der Kirche einschlafen dürfen bei uns nur die Männer. Bei der Predigt dat i an Pfarra am liabstn in de Fingan beißn, damit er wenigstens einmal au sagt."

Herbert Achtembusch: Susn

"Auf den Schultern der Ungläubigen hocken die schwarzen Vögel. Niemand kann sie vertreiben, denn sie haben guten Halt gefunden. Ihre Krallen umspannen das Schlüsselbein. Sie sind Gottes Buchhalter, merken sich alle Vergehen und schicken ihre Kuriere, so klein und flink wie Spatzen, hoch zum himmlischen Richter. Wenn das Leben ein Ende hat, wird es heißen: Es steht im Buche geschrieben. Ich bin Dreck und aus brackigem Wasser, und wenn der Höchste Richter nicht seinen heiligen Atem in den Schlamm geblasen hätte, wäre ich längst verdampft. Das sagt mein Vater, der die Neunundneunzig Schönen Namen Gottes am Rosenkranz betet."

Feridun Zaimoglu: Koppstoff (Reside)
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